Sie waren dem NS-Wirken des späteren Dorstener Bürgermeisters und Ehrenbürgers Paul Schürholz auf der Spur.Jetzt haben zwei Historiker Ergebnisse vorgelegt.
Ihr öffentlicher Auftrag: in einer historischen Arbeit das Wirken des von 1948 bis 1964 tätigen Dorstener Nachkriegs-Bürgermeisters Paul Schürholz in der NS-Zeit zu rekonstruieren.
Eine wichtige Fragestellung dabei: Inwieweit wurde die NS-Vergangenheit des damaligen Ehrenbürgers bei seinen späteren Auszeichnungen, die er erhalten hat, berücksichtigt?
Die Ergebnisse dieser umfangreichen und akribischen Spurensuche haben die beiden Historiker Dr. Josef Ulfkotte und Hans-Jochen Schräjahr vom Verein für Orts- und Heimatkunde in der Stadtratssitzung am Mittwoch (18.12.) präsentiert.
Studium während der Weimarer Republik, Einstieg in das elterliche Textilhaus am Marktplatz, das er später mit dem Bruder weiterführte, lokalpolitische und Vereins-Aktivitäten vor und während der NS-Zeit, 1942 eingezogen in die Militärverwaltung, Kriegsgefangenschaft, danach der Wiederaufbau und die BRD-Jahre, in denen Paul Schürholz (der von 1893 bis 1972 gelebt hat) viele Ehrenämter anhäufte - dazu die 1963 an ihn verliehene Ehrenbürgerschaft der Stadt Dorsten.
Kritische Stimmen
60 Jahre später dann im Frühjahr 2023 ein Antrag von „Die Fraktion feat. Die Linke“ - mit der Forderung, die Paul Schürholz diese Ehrenbürger-Würde wegen dessen NS-Vergangenheit posthum abzuerkennen. Weitere kritische Stimmen aus der Bürgerschaft forderten zudem, eine Überarbeitung eines Eintrags über Paul Schürholz auf der städtischen Homepage vorzunehmen, um dessen NS-Vergangenheit dort angemessen zu berücksichtigen.
Im Auftrag des Dorstener Rats werteten die beiden beauftragten Historiker Josef Ulfkotte und Hans-Jochen Schräjahr in monatelanger ehrenamtlicher Arbeit daraufhin in anderthalb Jahren Akten und Urkunden aus vielen unterschiedlichen Archiven sowie Presse-Veröffentlichungen aus, um Antworten auf wichtige offene Fragen zu finden.
Welche Rolle hat Schürholz nach der NS-Machtergreifung 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Stadtgesellschaft gespielt? Inwieweit hat er zur Durchsetzung der Nazi-Herrschaft in Dorsten beigetragen? War er eher Mitläufer oder hat er sich als öffentlich im Sinne der Nazis positioniert? Welche Aufgaben nahm er als Wehrmachtsangehöriger im Zweiten Weltkrieg wahr?
Die beiden Historiker trugen am Mittwoch vor, dass Schürholz nach der damaligen Kommunalwahl im März 1933 für die katholische Zentrumspartei in den Dorstener Stadtrat einzog: Nach Auflösung des Zentrums im Sommer 1933 hätte er sein Mandat zurückgeben können - stattdessen wurde er zum parteilosen Verbindungsmann der NSDAP und den Ex-Abgeordneten der Zentrumsfraktion.
1935 berief ihn die NSDAP-Kreisleitung zum Ratsherrn, im Jahre 1943 erneut. „Als Kommunalpolitiker hat er die nationalsozialistische Politik der Gleichschaltung auf städtischer Ebene unterstützt“, so die Verfasser - und die Beschlüsse des NSDAP-Stadtrats getragen. „Er passte sich den politischen Verhältnissen nach 1933 an, indem er mehreren gleichgeschalteten NS-Unterorganisationen beitrat, um als Kaufmann, Interessensvertreter des Handels und der Altstadt im Stadtrat erfolgreich zu sein“, so die Autoren.
An Gleichschaltung mitgewirkt
Bevor Paul Schürholz nach einer vierjährigen Mitgliedersperre 1937 als Mitglied in die NSDAP aufgenommen wurde, wirkte er an der Gleichschaltung von hiesigen Verbänden und Vereinen mit, verankerte als Propagandawart der NS-Hago (Nationalistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation) Nazi-Gedankengut in den heimischen Wirtschaftskreisen und führte als Oberst das Altstadtschützenkorps in einen wehrhaften Verein nationalsozialistischer Prägung. Sein Amt als Schützenoberst habe ihm zu großer Popularität verholfen, die ihm als Wirtschaftsfunktionär, Kommunalpolitiker und nicht zuletzt als Mit-Inhaber des Textilhauses am Markt zugutegekommen sei.
Entgegen seiner späteren Behauptung, dass seine „Haltung gegenüber der praktischen Politik eine der örtlichen Machthaber eine offen ablehnende war“, habe Schürholz laut der beiden Verfasser also schon seit 1933 die nationalsozialistische Politik vor Ort aktiv mitgetragen. Und habe so dazu beigetragen, die Akzeptanz der NS-Herrschaft in weiten Teilen der Stadt zu erhöhen und seinen eigenen Einfluss in den wirtschaftlichen Kreisen zu stärken.
Indes: Eine rassistische oder antisemitische Haltung kann ihm ebenso wenig unterstellt werden wie eine aktive Beteiligung an NS-Verbrechen, erklärten die Verfasser. Den Boykott jüdischer Geschäft auch in Dorsten habe Schürholz zwar ebenso miterlebt wie die Vorgänge, die sich am 8./9. November zur Reichspogromnacht in der Wiesenstraße (Synagoge) und auf dem Marktplatz abspielten. Anhaltspunkte für die Annahmen, dass sich Schürholz im Zuge der „Zwangsarisierung“ an jüdischem Eigentum bereichert habe, fanden sich bei den Recherchen aber nicht.
Seit 1941 tat Schürholz als „Ergänzungsoffizier“ Dienst bei der Rüstungsinspektion VI in Münster, führte dort Kriegstagebuch, übernahm statistische Aufgaben und wurde Transportoffizier. Ob er Erkenntnisse von Deportationen hatte, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, ob er tatsächlich bis zum Kriegsende dort in Münster tätig war, wie er in seinem Entnazifizierungsantrag schrieb.
„Nach 1945 hat Schürholz seine Rolle als einflussreicher Akteur während der NS-Zeit auf lokaler Ebene verdrängt“, heißt es in der 100-seitigen Untersuchung. In seinem Entnazifizierungsverfahren 1946 bemühte sich Schürholz darum, seine Rolle in der NS-Zeit herunterzuspielen beziehungsweise zu verharmlosen, um seine Zukunft zu sichern.
Als Militarist eingestuft
In dem damaligen Antrag führte er beispielsweise wahrheitswidrig in einem Begleitschreiben an, die Aufforderung zum Eintritt in die NSDAP „bis 1938 abgelehnt zu haben“.
Trotz seiner Beteuerungen stuften ihn die Kreisspruchkammer und die britische Militärbehörde als „Militaristen“ und „untragbar für die Demokratie“ ein, der neun Nazi-Organisationen angehörte. Gegen das Urteil legte Schürholz Berufung ein, weil ihm als „Belasteter“ eine empfindliche Strafe drohte, die seine Zukunft und die des Geschäfts infrage stellte. In seinem Berufungsantrag wiederholte er seine Falschaussage bezüglich seines Eintritts in die NSDAP, stattdessen stellte er sich als Gegner und Verfolgter der NSDAP dar, der sogar die jüdische Familie Perlstein beraten haben will.
Die sogenannten „Persilscheine“ (Entlastungszeugnisse), die er beifügte, „werfen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts aber viele Fragen auf, die sich heute einer Überprüfbarkeit entziehen, weil die Verfasser dieser Zeugnisse verstorben sind“, so Schräjahr und Ulfkotte.
Bei der Berufung empfahl die Militärregierung im November 1946, dass Schürholz sein Textilhaus am Markt weiterbetreiben durfte, empfahl jedoch, ihm kein öffentliches Amt anzuvertrauen. Bereits Monate zuvor war Paul Schürholz der CDU beigetreten, für die er bei der Kommunalwahl 1948 als Kandidat ein Mandat im Stadtrat erzielte, der ihn mit knapper Mehrheit und mit Stimmen des Zentrums zum Bürgermeister wählte.
Besonders für seine besonderen wirtschaftlichen Verdienste und diejenigen um den Wiederaufbau der im Krieg stark zerstörten Stadt erhielt Schürholz ab 1953 mehrere Auszeichnungen, zum Beispiel 1965 das „Große Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Erst da kam die Frage nach seiner NS-Vergangenheit auf. Der NRW-Verfassungsschutz berichtete dem Innenministerium zwar von der NSDAP-Mitgliedschaft von Paul Schürholz, Bedenken hatte die Regierung aber deshalb nicht.
In Zusammenhang mit der Verleihung des Dorstener Ehrenbürgerrechts an Schürholz im Dezember 1963 wurde dessen NS-Vergangenheit nicht thematisiert. „Bemerkenswert ist allerdings, dass bei der entscheidenden Sitzung des Stadtrats am 9.12.1963 allein von den 18 Stadtverordneten der CDU gleich sechs unentschuldigt (!) fehlten“, so die Autoren: „Schürholz hatte offenkundig innerparteiliche Gegner.“
Der Dorstener Stadtrat wird sich auf einer seiner nächsten Sitzungen mit dem Gutachten inhaltlich befassen und über das weitere Vorgehen entscheiden. „Bis dahin sollten sich jeder selbst in Ruhe mit dieser Ausarbeitung beschäftigen“, so Bürgermeister Tobias Stockhoff, der sich mit einem Geschenk bei den Autoren bedankte. Vorher werden die Ergebnisse des Gutachtens noch einmal ausführlich in einer Abendveranstaltung vorgestellt werden, wahrscheinlich im Alten Rathaus. Die beiden Historiker kommen übrigens auch zu dem Schluss, dass Schürholz sich stets einer Rhetorik bediente, „die dem Geist der jeweiligen Zeit entsprach“.
Fachlich fundiert
Hans-Jochen Schräjahr und Dr. Josef Ulfkotte hatten das Manuskript ihrer Forschungsergebnisse übrigens vorab Professor Dr. Malte Theißen, dem Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte, zur „Begutachtung“ vorgelegt. „Fachlich fundiert, quellengesättigt und differenziert“ sei die Arbeit, so das Urteil des Experten. Die „wenigen offenen Fragen“, die er anmerkte, haben die Verfasser inzwischen in ihrem Werk präzisiert.